Trauma bedeutet wörtlich "Verletzung" - bezogen auf die Psyche sprechen wir von einer seelischen Verletzung.
Ein psychisches Trauma entsteht, wenn wir in eine Situation geraten, die uns überwältigt – etwa, wenn wir uns extrem bedroht fühlen, Todesangst erleben oder völlig hilflos sind. In solchen Momenten steht uns keine innere Strategie zur Verfügung, um das Erlebte zu bewältigen.
Die Folge ist eine tiefgreifende Erschütterung unseres gesamten Systems – körperlich, emotional und seelisch. Wir fühlen uns ausgeliefert, überfordert und oft langfristig innerlich wie „eingefroren“.
Traumatische Erfahrungen hinterlassen Spuren, die oft weit über das eigentliche Ereignis hinauswirken. Viele Betroffene spüren die Auswirkungen noch Jahre später – etwa in Form von Ängsten, innerer Leere, Beziehungsschwierigkeiten oder körperlichen Symptomen.
Was geschieht bei einem Trauma im Nervensystem?
In einer als lebensbedrohlich empfundenen Situation reagiert unser Nervensystem blitzschnell: Kampf oder Flucht sind die ersten, automatisch ablaufenden Reaktionen.
Ist beides nicht möglich – etwa, weil wir körperlich unterlegen oder eingesperrt sind – schaltet der Körper in einen dritten Überlebensmodus: den Totstellreflex. Diese Reaktion äußert sich in einer tiefen körperlichen und seelischen Erstarrung. Gefühle werden betäubt, Schmerz wird kaum oder gar nicht mehr wahrgenommen.
Nach außen wirkt ein Mensch in diesem Zustand oft ruhig oder gefasst – doch im Inneren kreisen weiterhin enorme Energien, die für Kampf oder Flucht bereitgestellt wurden. Wird diese Energie nach dem traumatischen Ereignis nicht entladen, bleibt sie im Nervensystem „stecken“. Körper und Seele bleiben wie eingefroren.
Um das Überleben zu sichern, reagiert die Psyche mit einem unbewussten Schutzmechanismus: Sie spaltet das überwältigende Erleben ab. Gefühle wie Todesangst, Ohnmacht oder Verzweiflung werden aus dem bewussten Erleben herausgelöst.
Es entstehen innere Anteile mit unterschiedlichen Aufgaben:
Der Traumaanteil trägt die gefühlten, oft unerträglichen Erfahrungen.
Der Überlebensanteil übernimmt das „Funktionieren“ im Alltag – oft mit Strategien wie Kontrolle, Vermeidung oder Perfektionismus.
Der gesunde Anteil bleibt als Kernpotenzial erhalten – er ist unsere innere Ressource und Grundlage für Heilung.
Diese Anteile stehen oft nicht miteinander in Verbindung. Sie können sich abwechselnd bemerkbar machen, was für Betroffene sehr verwirrend oder belastend sein kann.
Ein Schocktrauma entsteht durch ein plötzliches, einmaliges Ereignis, das als lebensbedrohlich oder tief überwältigend erlebt wird. Dazu zählen zum Beispiel Unfälle, Naturkatastrophen, medizinische Eingriffe, Gewalterfahrungen oder Kriegserlebnisse.
Im Unterschied zu lang andauernden Belastungen (wie Entwicklungstraumata) hat ein Schocktrauma einen klaren Anfang und ein Ende – doch die seelischen und körperlichen Folgen können langfristig spürbar bleiben.
Während des traumatischen Geschehens kommt es zu einer Vielzahl intensiver Reaktionen:
Hilflosigkeit, Ohnmacht, Todesangst, Rückzug
Emotionale und körperliche Erstarrung
Dissoziation (ein „Wegtreten“ oder Nicht-mehr-da-Sein)
Schmerzen oder das völlige Fehlen von Schmerzempfinden
Später oft auch Scham, weil man das Gefühl hat, „versagt“ zu haben
Der Körper bereitet sich instinktiv auf Kampf oder Flucht vor – kann aber oft beides nicht ausführen. Diese enorme Energie bleibt im Nervensystem gebunden, eingefroren durch den Schock.
anhaltende innere Unruhe oder Erstarrung
Rückzug aus dem sozialen Leben
Schlafstörungen und ständige Übererregung
diffuse Ängste, Stimmungsschwankungen
körperliche Symptome ohne erkennbare Ursache
Ein Entwicklungstrauma entsteht, wenn ein Kind über längere Zeit seelisch verletzt wird – und zwar durch die Menschen, von denen es eigentlich Schutz, Liebe und Sicherheit braucht.
Im Gegensatz zum Schocktrauma, das ein einzelnes Ereignis umfasst, ist das Entwicklungstrauma nicht zeitlich begrenzt. Es beginnt oft schon sehr früh – manchmal sogar vor der Geburt – etwa durch:
einen Abtreibungsversuch
emotionale Ablehnung
Zurückweisung, Vernachlässigung oder Gewalt durch die Eltern
Diese Form der Traumatisierung wird häufig nicht erkannt, weil sie von außen unsichtbar bleibt. Man spricht daher auch von stillen Traumen.
Die Erfahrungen mit den Bindungspersonen – oft der eigenen Mutter oder dem Vater – hinterlassen tiefe Spuren:
chronische Gefühle von Ohnmacht, Angst, Schmerz und Rückzug
körperliche und seelische Erstarrung
anhaltende Dissoziation (Abspaltung vom eigenen Erleben)
Verlust des Selbstgefühls
Weil die belastende Beziehung zur Bindungsperson nicht endet, sondern Teil des Alltags ist, lernt das Kind, sich dauerhaft anzupassen. Aus einem natürlichen Selbstgefühl wird ein falsches Selbstbild, geprägt von:
Selbstablehnung, Selbsthass und innerer Leere
negativen Glaubenssätzen („Ich bin nicht liebenswert“, „Mit mir stimmt etwas nicht“)
toxischen Scham- und Schuldgefühlen
dauerhafter Übererregung und innerer Alarmbereitschaft
(die Sinne sind ständig nach außen gerichtet – in Erwartung der nächsten Gefahr)
Die Überlebensstrategie des Kindes lautet oft: Ich verzichte auf mein eigenes ICH, um die Bindung nicht zu verlieren.
Dieser innere Verzicht führt zu einer Entfremdung von sich selbst – und zu großen Schwierigkeiten im späteren Leben: im Kontakt mit sich selbst, in Beziehungen, im beruflichen Umfeld, im Umgang mit Emotionen.
Auch mehrgenerationale Verstrickungen (übernommene Gefühle, unbewusste Loyalitäten, Familienmuster) spielen häufig eine Rolle.
Die Arbeit mit Entwicklungstrauma ist ein behutsamer Prozess, bei dem es nicht um Schuld, sondern um mitfühlende Selbstannahme geht.
Im Mittelpunkt steht die Lösung aus den kindlichen Bindungsverstrickungen – und der Aufbau eines stabilen inneren Ichs, das sich sicher fühlen, Grenzen spüren und eigene Bedürfnisse leben darf.
Diese sogenannte Individuation und Ich-Anbindung ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einem selbstbestimmten und erfüllten Leben.